Keine Simulation – das audioAPARTMENT
Hörgeräte Müller in Friedrichshafen gehört zu den ältesten und traditionsreichsten Fachgeschäften der Republik. Nun eröffnete das Unternehmen nur wenige Meter vom ursprünglichen Geschäft entfernt zusätzlich das audioAPARTMENT. Ein Besuch bei der Hörakustikmeisterin und Unternehmerin Christiane Müller.
Ein Samstagmorgen im Juli. Christiane Müller steht auf dem Balkon des audioAPARTMENTs und schaut vom zweiten Stock auf den Bodensee. Trotz der heutigen Eröffnung dieses langerträumten Projekts nimmt sie sich die Zeit für ein Interview. Das audioAPARTMENT ist das Ergebnis langjähriger Planung und der Zielsetzung, ein einzigartiges Konzept in die Tat umzusetzen. In drei Stunden wollen die ersten Gäste und Kunden da sein.
Doch bevor es richtig losgeht, möchte Müller den Moment noch einen Augenblick genießen, wie am Ufer die Bodenseefähre anlegt. »Ich weiß, es klingt jetzt vielleicht komisch. Doch an der Idee habe ich tatsächlich 20 Jahre gearbeitet. Das Ziel ist, den Kunden die persönlichste, individuellste und bestmögliche Betreuung zu bieten. Der richtige Zeitpunkt für dieses Projekt war gekommen, als auch meine Tochter Mona beruflich den Weg in die Hörakustik eingeschlagen hat und nun kurz vor ihrer Meisterprüfung steht«, sagt die Hörakustikmeisterin, die im Jahr 2000 das am 15. Dezember 1954 von ihrem Vater Manfred gegründete Fachgeschäft Hörgeräte Müller übernahm.
Während mehr und mehr Menschen den bekannten Buchhornplatz entlangschlendern, um die diversen Cafés, Restaurants oder das gegenüberliegende Zeppelinmuseum anzusteuern, ziehen wir uns für unser Interview in das 100 Quadratmeter große Apartment zurück. Das audioAPARTMENT umfasst ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, ein Badezimmer, eine Küche und ein voll ausgestattetes Labor zur manuellen und digitalen Fertigung von Otoplastiken.
Nach dem Rundgang und einem neugierigen Staunen meinerseits über den hochmodernen Kühlschrank nehmen wir auf einem bequemen grünen Sofa Platz. »Unser Wohnzimmer hier nutzen wir natürlich zur Beratung sowie zur Anpassung und Justierung der Hörsysteme. Zugleich ist es der Bereich, in den sich der Kunde zurückziehen kann, wenn er das nach der Beratung möchte. Ob er in dieser Zeit etwas unternehmen, kochen, sich ausruhen oder arbeiten will, ändert für uns nichts. Unser Ziel besteht darin, den Kunden innerhalb eines Tages mit optimal eingestellten Hörsystemen und maßgefertigten Otoplastiken vollumfassend und persönlich zu versorgen«, erklärt Christiane Müller, die direkt im Anschluss an ihre Meisterprüfung 1994 zunächst ein eigenes Fachgeschäft in Ravensburg aufbaute.
Dabei habe, so Müller, das Projekt audioAPARTMENT mit einem Jahr Umsetzungszeit gar nicht so lange gebraucht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Wohnung kernsaniert, alle Wände sowie Leitungen erneuert und die Fensterfassade komplett neu arrangiert wurde. Viel schwieriger sei es hingegen gewesen, in Friedrichshafen überhaupt an eine Immobilie zu kommen, die alle Parameter erfüllt. Allein das habe zig Jahre gedauert. Denn im Hinblick auf den Wohnungsmarkt sei Friedrichshafen durchaus mit München vergleichbar, aber eine Immobilie zu finden, um ein exklusives Konzept umsetzen zu können, sei hingegen nahezu unmöglich. Abseits der vielen Ferienwohnungen, die in Friedrichshafen existierten, ist die zweitgrößte Stadt am Bodensees geradezu prädestiniert, sich mit guten Geschäftskonzepten zu etablieren. »Es gibt hier viel Tourismus, viel Industrie und die Wege in die Schweiz und nach Österreich sind kurz. Wenn man eine Kundenklientel ansprechen will, die hohe individuelle Ansprüche stellt und auch über die entsprechenden Mittel verfügt, sich vernünftige Hörgeräte leisten zu können, darf man die in keiner Bruchbude empfangen. Das funktioniert nicht. Ich brauche Ambiente und mag den See nicht nur sehen, sondern auch hören«, so die erfahrene Hörakustikmeisterin, die die beiden Fachgeschäfte von Hörgeräte Müller in Friedrichshafen und Ravensburg seit über 20 Jahren führt und ihre Gesellenprüfung 1992 als Bundessiegerin abschloss.
Neue Wege in der Kundenbegleitung
Um höchste Ansprüche auch im Hinblick aufs Hören erfüllen zu können, müsse aber nicht nur das Ambiente stimmen, sondern auch das Equipment. Neben einem großen Flatscreen, einer audiosus- und einer In-Situ Anlage, die unauffällig ins Wohnzimmer integriert wurden, sorgte Christiane Müller dafür, dass das Labor mit allem ausgestattet wurde, was zur manuellen und digitalen Fertigung dem aktuellsten Stand der Technik entspricht. »Das gesamte Konzept habe ich mit meiner Tochter Mona ausgearbeitet. Hier fehlt es an nichts. Dabei habe ich mir vieles auch bei guten Freunden der ProAkustik angesehen. Wir nannten das Projekt anfangs nur ›die Wohnung‹. Entsprechend entstand der Name audioAPARTMENT erst im Laufe des Prozesses«, so Müller, die mit dem audioAPARTMENT einen neuen Meilenstein in der Branche setzen möchte.
Der Kerngedanke, einen komplett neuen Weg in der Begleitung von Hörsystemkunden gehen zu wollen, sei schon zu ihrer Meisterszeit in Lübeck gereift, erzählt sie. Denn ihrer Ansicht nach will kein Kunde unzählige Termine in einem Fachgeschäft wahrnehmen, um zu einer Lösung zu gelangen. Schon damals sei sie ständig mit der Frage konfrontiert worden, weshalb Kunden nicht gleich die fertigen Hörgeräte erhalten könnten. Diese Vorstellung hält bis heute an, ist aber in einem normalen stationären Geschäft kaum umsetzbar. »Wer möchte schon ständig in einem Geschäft stehen, vor allem wenn man nicht direkt in der Stadt wohnt? Ich, ehrlich gesagt, will das nicht. Insbesondere wenn man schnell zu einem Hörergebnis kommen will und den Anspruch einer wirklich herausragenden Hörsystemanpassung hat. Es gibt deutlich mehr Kunden, die das wünschen, als man auf den ersten Blick glaubt.«
Entsprechend bietet das audioAPARTMENT eine Vielzahl von Vorteilen, die es deutlich von traditionellen Hörakustikgeschäften abhebt. Im Mittelpunkt steht die Arbeit mit modernster Messtechnik, die es ermöglicht, Hörsysteme unter realen Bedingungen optimal anzupassen. Anders als in herkömmlichen Geschäften, wo Umgebungen nur simuliert werden können, erleben die Kunden hier die Features ihrer Hörgeräte in echten Alltagssituationen. In den Räumlichkeiten des audioAPARTMENTs kann beispielsweise getestet werden, wie gut man in unterschiedlichen Geräuschkulissen versteht – sei es das Verstehen bei eingeschalteter Dunstabzugshaube, im Badezimmer oder im Gespräch auf der Terrasse bei Umgebungsgeräuschen. Ebenso wird Müller zufolge geprüft, wie sich das Sprachverstehen auf größere Entfernungen verhält, etwa wenn der Kunde sich im Wohnzimmer aufhält und mit seinem Partner in der Küche sprechen möchte. Ein weiterer entscheidender Vorteil sei daher, dass die komplette Hörsystemversorgung an einem einzigen Tag durchgeführt wird. Die maßgefertigten Otoplastiken werden innerhalb von zwei Stunden hergestellt, sodass die Anpassung der Hörgeräte sofort und individuell erfolgen kann. Dadurch entfalle das oft frustrierende Ausprobieren verschiedener Geräte und die Unsicherheit darüber, welche Features tatsächlich die richtigen für den Kunden sind. Dank der echten Alltagsumgebung im audioAPARTMENT werde so von Anfang an die bestmögliche Anpassung gewährleistet. »Unser Fokus während des Kundentermins liegt ausschließlich auf dem Kunden, der vor uns sitzt, und der erwartet zurecht die beste Betreuung.« Insgesamt, so Christiane Müllers Überzeugung, werde die Customer Journey dadurch viel entspannter, und effektiver.
Maßgeschneiderte Ateliersarbeit
Natürlich habe man schon erste Erfahrungen gesammelt und erste Kundenreaktionen erhalten. »Das Feedback war überwältigend! Die Kunden, die den traditionellen Ablauf einer Hörsystemversorgung kannten, waren überrascht und begeistert. Wären die Reaktionen nicht so gut gewesen, würden wir heute das Interview wahrscheinlich nicht führen, und ich hätte daraus einfach eine Ferienwohnung gemacht«, scherzt die ProAkustik-Aufsichtsrätin Christiane Müller, die ihren Kunden im audioAPARTMENT maßgeschneiderte Ateliersarbeit bieten wird.
Dass hohe Fachlichkeit eine unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen des Konzepts ist, sei ihr vollkommen klar. Aber genau deswegen habe sie das audioAPARTMENT unbedingt gewollt. »Ehrlich gesagt, will ich mich auf das Wesentliche konzentrieren, also die Hörgeräteversorgung, und nicht die Hälfte meiner Zeit mit Bürokratie verschwenden. Unabhängig davon, dass wir meiner Meinung nach im Betrieb seit Jahrzehnten für Fachlichkeit stehen, muss ich dabei oft an Reimer Rohweder denken. Er brachte uns bei, dass eine Geräuschkulisse, die simuliert ist, einfach eine Simulation bleibt. Wenn wir dann darauf unsere Features einstellen, kann das nur schief gehen«, sagt Müller, die deshalb Anpassungen auch auf der Terrasse nicht ausschließt.
Dass im audioAPARTMENT Ateliersarbeit betrieben wird, erkennt man auch daran, welchen Anspruch Christiane Müller an Otoplastiken hat. Die Anforderungen seien so hoch, dass jeder der neun Mitarbeiter in der Lage sein muss, Otoplastiken selbst manuell herzustellen. »Wir fertigen selbst und das hat seinen guten Grund. Unabhängig davon, dass ich weiß, wie sehr das jeder Akustiker genießt, selbst das persönlichste Produkt für seinen Kunden herzustellen, haben wir festgestellt, dass wir die Ohren unserer Kunden am besten kennen und ihnen so ein optimales Produkt selbst fertigen«, so Christiane Müller.
Die Möglichkeiten, einen Abdruck zu scannen, zu modellieren und in ein externes Labor von ProAkustik-Kollegen zur Fertigung zu geben, bestehen zwar. Der eigene Anspruch ist es jedoch, dem Kunden auch im audioAPARTMENT eine selbst angefertigte Otoplastik anzupassen. Nichtsdestotrotz sind Sonderwünsche jederzeit umsetzbar. »Wir haben zwar alle Skills, um selbst zu printen. Der Drucker wird dann aber zum richtigen Zweck verwendet. Die Herstellung einer Otoplastik für einen Kunden geht schneller und effizienter, wenn man selbst Hand anlegt. Das sind zwar ein paar zusätzliche Schritte, aber durch Übung wird das wieder wettgemacht«, ist Christiane Müller überzeugt. Sonderanfertigungen wie besonders weiche Otoplastiken lässt sie bei einem ProAkustik-Kollegen fertigen.
Überregionale Kundenansprache
Auf die Frage, wie sie das audioAPARTMENT mit der Arbeit im Hauptgeschäft verbinden möchte, reagiert Christiane Müller entspannt. Zwar müsse der eigene Ablauf strukturierter werden, da nun eine Ressource bei den Anpassungen vom Geschäft in das audioAPARTMENT verlagert werde, aber sie habe das Glück, sich auf ein großartiges Team verlassen zu können. Die Umstellung sollte daher kein Problem darstellen, insbesondere weil sie selbst und ihre Tochter Mona als Hauptakteure das audioAPARTMENT leiten werden. »Alle freuen sich riesig auf die neue Herausforderung«, sagt Christiane Müller. »Es wird zwar so sein, dass wir eine klare Einteilung haben, wer an welchem Tag im audioAPARTMENT arbeitet, aber ich freue mich darauf, dass das Tun ein anderes wird und wir wieder mehr den direkten Kontakt zum Kunden intensivieren.«
Selbstverständlich werde man anfangs auch Kampagnen über Social Media und andere Kanäle fahren, um gezielt Kunden anzusprechen. Die Herausforderung liegt dabei vor allem darin, Kunden zu gewinnen, die ihre positiven Erfahrungen weitertragen. »Nichts ist besser als Mund-zu-Mund-Propaganda. Davon lebt Hörgeräte Müller seit Jahrzehnten. Es sollen aber nicht nur Kunden aus der Region angesprochen werden. Am liebsten wäre es mir, wenn sich das international herumspricht. Wir leben an der Schweizer Grenze, und ich wäre nicht klug beraten, nicht so zu denken. Aber glücklicherweise befinde ich mich in der komfortablen Situation, mir die nötige Zeit lassen zu können, um das audioAPARTMENT genauso wie auch meine beiden anderen Geschäfte zum Erfolg zu führen«, sagt Christiane Müller noch, ehe die ersten Gäste an der Tür klingeln.